Konfluenz und Konflikt |
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Hofbauer Stefan am 30.4.2014 | |
30 Apr
Es ist nicht entscheidend, was ich sage, sondern was der andere hört. (Martin Buber) Viele Menschen scheinen Harmonie und Frieden als sehr wichtigen Wert zu betrachten, insbesondere in ihren persönlichen Beziehungen. Und manchmal will es mir scheinen, dass wir hier in Österreich in einer besonders konfliktarmen oder konfliktscheuen Gesellschaft leben. Dabei ist es gerade die Auseinandersetzung, der Konflikt, ja unter Umständen sogar der handfeste Streit, der uns Weiterentwicklung ermöglicht und uns ein Gespür für uns selbst vermittelt. Stellen wir uns einen Roman vor, in dem niemals gestritten wird und immer nur Harmonie herrscht. Vermutlich würde niemand ein solches Buch kaufen wollen. Gute Geschichten leben ebenso sehr von Missverständnissen und Konflikten wie gute Beziehungen, seien sie nun beruflicher oder privater Natur. Das bedeutet nun nicht, dass wir ununterbrochen streiten müssen, es bedeutet aber, dass Konflikte, wo sie auftauchen, zur Sprache kommen müssen, damit wir uns weiterentwickeln können. In der Reibung und Auseinandersetzung mit anderen Menschen lernen wir nicht nur etwas über den anderen, sondern auch über uns selbst. Völlige Konfliktvermeidung resultiert häufig aus Angst und schadet Beziehungen oft mehr als sie nützt. In der Gestalttherapie kennen wir den Abwehrmechanismus oder die Kontaktunterbrechung der Konfluenz. Das Wort kommt vom lateinischen Wort confluere und bedeutet „zusammenfließen“. Als Konfluenz bezeichnet man deshalb den Vorgang des Ineinanderfließens zwischen zwei oder mehr Menschen. Es kommt zu einem Verlust der Wahrnehmung oder der Leugnung von Unterschieden zwischen Menschen. Die typische Folge davon ist, dass sie nicht länger verschiedener Meinung sind und sich gegeneinander reiben können. Der kreative Konflikt oder einfach der gute Kontakt wird für routinehafte Interaktionen aufgegeben, die flach, statisch und sicher sind (Zinker, 1982). Sind wir mit anderen Menschen konfluent, so fehlen uns die Kontaktgrenzen gegenüber der Umwelt. Die Differenz zwischen Subjekt und Objekt wird ignoriert. Typisches Beispiel wäre folgender Satz einer Frau zu ihrem Ehemann: „Nicht wahr, Papa, Gulasch essen wir gern.“ Die Ehefrau tut so, als gäbe es keine Unterschiede zwischen ihr und ihrem Mann, sie maßt sich an, genau zu wissen, was ihr Mann will und negiert alle Unterschiede. Konfluenz beginnt genau genommen bereits dort, wo wir völlig sicher zu wissen meinen, wie unser Partner tickt, was er denkt und was er gern hat. Und in vielen Paarbeziehungen wurde seit Jahren kein persönliches Gespräch mehr geführt, dergestalt, dass wir uns darüber austauschen, was wir denken, was wir fühlen und was wir wollen. Dialoge drehen sich häufig nur noch um Alltagsdinge, was abends im Fernsehen läuft, wer den Müll runter bringt und wer die Kinder in den Kindergarten bringt. Sprachlich verrät uns die häufige Verwendung der Wörter „man“ und „wir“, dass sich ein Mensch seiner eigenen Identität wenig bewusst ist und ein fehlendes Gespür dafür hat, wo er selber aufhört und wo die anderen anfangen. Insbesondere die Menschen, die sich ständig an den Erwartungen anderer Menschen orientieren und jeden Konflikt vermeiden, nennen wir konfluent. Dazu zählt auch das Bedürfnis nach Harmonie und Nähe um jeden Preis. Aggression als Kontaktfunktion ist meist sehr unterentwickelt oder gar nicht vorhanden. Konflikte werden durch Gleichklang mit der Umgebung vermieden. Der Betreffende schwimmt mit dem Strom. Eine Sonderform der Konfluenz stellt übrigens das "Dagegensein um des Dagegenseins Willen" dar. Dabei findet nämlich keine wirkliche Abgrenzung statt, sondern der Betreffende handelt in starrer Abhängigkeit von der Umwelt, ohne seine eigenen Bedürfnisse und Wünsche wirklich zu spüren. Wenn meine Frau A sagt, sage ich B, aber was wirklich meine Meinung ist, weiß ich nicht. Das ist keine echte Autonomie, sondern Abhängigkeit quasi mit negativem Vorzeichen. In der Therapie zeigt sich die Konfluenz vor allem in dem Versuch, den Therapeuten zum eigenen Standpunkt zu verführen. „Sie sind doch auch der Meinung, dass…“, „bestimmt glauben Sie auch, dass…“, „wahrscheinlich halten Sie mich auch für einen Versager!“ oder „bestimmt bin ich der anstrengendste Klient für Sie!“ etc. Aufgrund der besonders geschützten Atmosphäre einer Therapiesituation und der Möglichkeit einen Menschen tiefer als sonst im Alltag kennenzulernen, stehen auch Therapeuten bisweilen in der Gefahr mit Klienten konfluent zu gehen. Dies zeigt sich insbesondere in der Neigung, allzu schnell mit dem Klienten übereinzustimmen, mit bestimmten Klienten sehr vorsichtig umzugehen oder regelmäßig mit besonders sympathischen Klienten die Stunden zu überziehen. Hier ist dann unbedingt Supervision erforderlich, um dieses Verhalten zu reflektieren, vor allem deshalb, weil ein mit dem Klienten konfluenter Therapeut nicht hilfreich sein kann. Grundsätzlich erfüllt Konfluenz zunächst eine wichtige Funktion, nämlich um Gemeinsamkeit und Zusammenhalt in Gruppen oder in der Familie zu ermöglichen. Erst wenn Konfluenz zum ausschließlichen oder stark überwiegenden Muster in der Begegnung mit anderen wird, können wir von einer Kontaktstörung sprechen. Die Konfluenz bietet nämlich nur eine schwache Basis für eine Beziehung. Schließlich können Menschen nicht immer genau gleicher Meinung sein. Und häufig ist gerade in besonders harmonischen Beziehungen Konfluenz im Spiel. Es werden keine Konflikte mehr ausgetragen, um sich selbst ein Gefühl der Sicherheit und Übereinstimmung zu geben. Eine solche Beziehung ist aber innerlich tot. Hier findet kein Austausch mehr statt und kein echter Kontakt. Die Ursache oder Wurzel sehr konfluenter Beziehungen ist häufig Unsicherheit oder manchmal auch ein tiefer Groll. Wenn einer der beiden Partner dann doch einmal die Konfluenz verletzt, fühlt er sich schuldig und der andere empfindet "gerechten Zorn", schließlich wurde gegen ihn gesündigt. Gerade das Austragen von Konflikten bietet aber eine Möglichkeit, die Konfluenz zu durchbrechen und einander neu und tiefer kennenzulernen als zuvor. Polster meint, dass es auch Konfluenzverträge mit der Gesellschaft gäbe. Dabei konzentriert sich der Neurotiker auf jenes Verhalten, das er für gesellschaftlich erwünscht hält. Er ist dabei weder in Kontakt mit sich selbst noch mit anderen. Er stellt sich nie die Frage, was er eigentlich will und braucht, sondern verhält sich immer nur so, wie er glaubt, dass das von ihm erwartet wird. Gemäß Salomo Friedlaender liegt die angemessene, erwachsene Verhaltensweise in der Mitte zwischen den Extremen (auch Nullpunkt oder Indifferenzpunkt genannt). Das wäre dann die Fähigkeit, sich einerseits angemessen abzugrenzen und zu behaupten und sich andererseits anzupassen. Das Gegenmittel zur Konfluenz sind Kontakt, Differenzierung und Artikulation (Polster, 2001). Fragen wie: „Was fühle ich gerade jetzt?“, „Was will ich gerade jetzt“ und „Was mache ich da gerade“, können helfen, den Kontakt zu uns selbst wieder herzustellen. Derartige Fragen stärken die eigenen Ich-Grenzen also das Gefühl dafür, wer wir wirklich sind, was wir brauchen und wo die Bedürfnisse der anderen anfangen. Wir möchten durch Konfluenz gerne das Entsetzen vermeiden, das entsteht, wenn wir uns bewusst werden, dass wir von anderen getrennt sind. Die Paarbeziehung und insbesondere der sexuelle Akt vermitteln uns – wenn auch nur kurzfristig – das Gefühl, dass wir eins wären. Aber dieses Eins Sein ist ein Illusion. Beziehung als Verschmelzungsphantasie ist eine kindliche Variante der Angstvermeidung. Als Erwachsene sind wir alle verschieden und Beziehung besteht nicht im völligen Eins Werden mit einem anderen, sondern in der Auseinandersetzung und Spannung zwischen Menschen, die sich aneinander reiben. Erst indem wir uns unseren eigenen Bedürfnissen zuwenden und sie auch artikulieren, lernen wir uns selbst und den anderen kennen. Auch in einem „Nein“ des Partners habe ich die Chance etwas Neues über mich zu lernen und in der ständigen Auseinandersetzung erfahre ich auch, dass der Partner, dem ich heute begegne, ein anderer ist, als der, dem ich gestern begegnete. *** Polster, Erving und Miriam (2001). Gestalttherapie. Theorie und Praxis der integrativen Gestalttherapie. Peter Hammer Verlag. Zinker, Joseph (1982). Gestalttherapie als kreativer Prozess. Junfermann Verlag. #konflikt #konfluenz #gestalttherapie www.gestalttherapeut.com |
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